Unser Sonntag auf der Biskaya war gemütlich und abwechslungsreich. Am frühen Samstagmorgen sind wir in England gestartet, zu unserem ersten weiten Sprung, in einem Stück bis nach Spanien. Dabei überquert man zunächst den Ärmelkanal, und dann geht’s in einem Zug über die Biskaya, nach La Coruna. Auch mit dem Auto wäre das eine sehr lange Fahrt. Man würde zunächst ein Stück die englische Küste rauf, dann mit der Fähre über den Kanal, durch Frankreich bis nach Biarritz, um dann von Bilbao her die lange und schöne spanische Nordküste in Richtung La Coruna abzufahren. Wir haben Glück und können fast Luftlinie fahren. Am frühen Dienstagmorgen werden wir wohl in den spanischen Hafen einlaufen.
0 Uhr: Seit Stunden kommen wir bei 15 Knoten Halbwind, kleiner Welle und gutem Gezeitenstrom mit teils über 9 Knoten voran. Wir passieren die Insel Ouessant westlich. Bereits zum zweiten Mal auf unserer Reise fahren wir durch französische Gewässer, ohne einen Stopp an Land einzulegen. Noch viele Stunden werden wir das helle Licht den Ouessant-Leuchtturmes am Horizont erkennen.
2 Uhr: Der Sohnemann hat sich unter drei Decken auf der Cockpitbank eingemummelt, und schläft nun tief. Tapfer hat er Nachtwache gehalten, die schnell ändernden Fahrtrichtungen der Fischer auf dem Plotter verfolgt und darauf geachtet, ob unser Kurs frei ist von anderen Schiffen. Mir bleibt das Licht von Ouessant. Die typisch französischen Staccato-Funksprüche werden immer weniger.
4 Uhr: die stets neu gestellte 20-Minuten-Eieruhr weckt mich einmal mehr auf. Einige Fischerboote vor uns sind noch etwa 2 Stunden entfernt. Das Radar zeichnet jedoch eine grosse Reflexion auf die elektronische Seekarte, grösser als jedes Schiff. Es ist eine Regenzelle. In der Nähe fällt der Wind erst mal zusammen. Ich rolle die Genua weg und umfahre die Zelle, um nicht in die Böenzone zu geraten.
6 Uhr: Manuela hat vor einer Stunde die Wache übernommen. Ich habe sie schlafen lassen, solange es irgendwie ging. Bei tiefster Müdigkeit erlebt man es als ein grosses Privileg, wenn die Wachablösung umgehend kommt, und man sich einfach hinlegen kann. Kurze Zeit später fällt unsere Geschwindigkeit unter 4 Knoten. Zeit für den Dieselwind. Die Genua wird erneut weggerollt.
8 Uhr: Die Morgensonne wärmt, die mondhelle Nacht ist längst vorbei. Wir hatten die ganze Nacht über Besuch von Delfinen. Wenn man sie nicht schon vorher gesehen oder platschen gehört hat, so hat der Flachwasseralarm angezeigt, dass wir nicht alleine sind: Wenn im weit über 100 Meter tiefen Wasser plötzlich nur 2 Meter Wassertiefe angezeigt werden, dann war einer der schönen Tiere gerade unter dem unserem Echolot durchgeschwommen.
10 Uhr: Nun endlich bekommen auch die Kinderaugen viele Delfine zu Gesicht. Es ist ein grosses Aahhh und Oohhh, gefolgt von Klatschen für besonders tolle Delfin-Sprünge. Zum Frühstück wird das letzte Konfi-Glas mit Igiser Erdbeeren geöffnet, wir werden sie schon bald vermissen.
Zu unserem Sonntagmorgen gehört jeweils auch das Öffnen einer der 52 kleinen Rollen aus einer gelben Dose, welche wir zum Geburtstag geschenkt bekommen haben. Die Rollen sind kleine Zettel, auf denen ein Wunsch, eine Lebensweisheit, oder ein Bibelspruch steht. Heute ging es darum, dass man für andere ein Segen sein kann. Wir besprechen das mit den Kindern, und sie freuen sich darüber. Gerade auch bei solchen Gelegenheiten denken wir gerne an den warmen und berührenden Abschied, den wir von unserer reformierten Kirchgemeinde erhalten haben.
12 Uhr: Bei Windstille und wellenlosem Wasser lässt es sich in der Bordküche besonders gut arbeiten. Trotzdem sind wir froh, nur das nötigste machen zu müssen: Manuela hat nämlich bereits in England vorgekocht. Obwohl sich der kardanisch gelagerte Gasherd permanent den Schiffsbewegungen anpasst, will man unterwegs möglichst kurz mit Gasherd, heissen Pfannen und siedendem Wasser hantieren.
14 Uhr: Den Kontientalsockel, der wegen seiner Wellen so berüchtigt ist, haben wir im Flachwasser überquert. In diesem Falle hat uns die Windstille sehr geholfen, und wir sind froh, nicht schon einen Tag früher ausgelaufen zu sein. Tatsächlich haben wir nun 4800 Meter Wasser unter uns. Wichtig auch: jetzt sind wir erstmals auf unserer Reise südlich von unserem Wohnort in der Schweiz! Zunächst fallen die Faserpelze, später auch die Pullis darunter. Auch an der Temperatur wird offensichtlich, dass wir südlich fahren.
16 Uhr: Unsere Angelrute ist jetzt endlich im Betrieb. Wir haben in England Makrelenköder gekauft, Drei Fischhaken an einer Leine, jeder mit einer farbigen Feder dran. Bis am späten Abend wird kein Fisch anbeissen. Vielleicht bräuchten die französischen Makrelen blau-weiss-rote Federn statt das blau-rot-weiss des Union Jack? Vielleicht liegt der Misserfolg auch daran, dass es hier keine Makrelen gibt, oder dass wir als Fischer-Greenhorns anstatt eines Bleigewichtes eine chromglänzende Schraubenmutter hinten an unsere Schleppleine gehängt haben.
18 Uhr, ganz grosses Kino: Ölig liegt die See, und lustlos flappt unser Grosssegel in der geringen Dünung hin und her. Wir lassen es lediglich stehen, weil es die seitlichen Schiffsbewegungen dämpft. Ich bin gerade auf dem Weg in die vordere Kabine zum Vorschlafen, da sieht Manuela ihn als erste, einen Walfisch, wohl fast so lange wie unser Schiff. Seitlich kommt er auf uns zu, und wir überlegen, ob wir verlangsamen sollen, um nicht zu kollidieren. Schliesslich geht der Wal aber einige Meter hinter uns durch. Die Angelhaken lässt er zum Glück in Ruhe. Wir sehen ihm nach wie er seine Fontänen ausstösst. Wunderbar.
20 Uhr: Stündlich ruft Junior auf dem Seefunk in Englisch unsere Kollegen von der kanadischen Yacht auf. Wer sich wohl schon alles an die Kinderstimme gewöhnt hat? Die Küstenwache hört uns sicherlich nicht mehr, wir sind längst ausserhalb Funkreichweite zum Land. Unsere Kanadier waren ausserhalb des Verkehrstrennungsgebietes gefahren, wir innen durch. Das hat uns wohl ausser Funkreichweite gebracht.
22 Uhr: Der Junge ist heute müder als sonst ins Bett gefallen. Nun will die Tochter Nachtwache schieben. Wir suchen auf dem iPad nach Sternbildern. Schon bald aber zieht sie das Bett der harten Cockpitbank gegenüber vor.
24 Uhr: Die Schweizerflagge leuchtet im Licht der LED-Achterlaterne in kaltem Rot und Weiss. Ich geniesse es, die Schweizerflagge übers Meer zu führen. Seit fast 18 Stunden schiebt uns der Motor durchs Wasser. Die neuesten Wetterdaten zeigen, dass Flaute noch viele Stunden anhalten wird.
Rundherum hat es Wasser am Horizont, der sich bei Vollmond erhellt vom Meer absetzt. Einige Schleierwolken stehen in fahlem Weiss am Himmel. Heute funkeln nur die hellsten Sterne. Weit und breit ist nichts als Wasser. Wir sind alleine, und es ist schön, hier zu sein.