Die Jungferninseln – Wo der Abschied schmerzt

Wie viele der karibischen Inseln hatten auch die Jungferninseln ihren Namen von Christoph Columbus erhalten. Gemäss unserem Reiseführer wollte Columbus mit der Namensgebung an das Martyrium von 11’000 Jungfern durch die Hunnen erinnern (5. Jahrhundert, Sankt Ursula, in der Gegend des heutigen Kölns).

Unsere Ankunft auf den Jungferninseln war kurz vor Ostern. Wir wollten Ostern unbedingt mit Freunden von der Atlantic Odyssey verbringen. Es waren wundervolle Tage. Die Kinder von YUANA, ROGUE und JaJaPaMi unterhielten sich tagelang selber. Dass wir im Vorfeld in den Läden keine Schokolade-Ostereier finden konnten, war plötzlich kein Problem mehr.

Auch die Crews von KRABAT und AKOUAVI waren da. Wir sassen ganze Vormittage auf dem riesigen Katamaran der JaJaPaMi‘s, und besprachen die weiteren Reisepläne und gängige Segelrouten. Die Nachmittage verbrachten wir am Strand, oder vielleicht eher an einer Strandbar.

Dabei wurde die White Bay auf der Insel Jost van Dyke zu einem meiner Lieblingsorte überhaupt. Der Sonnenuntergang zauberte verblüffende Farben an den Himmel und aufs Wasser. Du hängst mit Freunden und einem kalten Drink in der Hand in einem Strandsessel und bist dir sicher, dass es kein schöneres Leben geben kann. Oder anders gesagt: Wir hatten Ferien von unserem Alltag, und schulfrei obendrauf!

Bald kam der grosse Abschied, und unser Bord-Alltag war zurück: Wo können wir Einkaufen, und wo die Wäschen machen? Wo hat es einen funktionierenden Bankomaten, und wo eine Post für unsere Klassenbriefe? Wo bekommen wir Ersatz für die durchgebrannte 50 Ampere-Sicherung einer elektrischen Winsch, und welche Tankstelle ist nach dem Sturm überhaupt noch im Betrieb?

Zu Hause stellen sich solche Fragen kaum. Die Waschmaschine steht im Haus und man weiss einfach, wo es was gibt, und was einem schmeckt. Vor unserer Reise war uns nicht bewusst, wie Effizient das Leben zuhause ist. Vielleicht birgt diese bequeme Effizienz auch die Gefahr, dass man nur selten etwas Neues ausprobiert. Es gibt ja kaum einen Anlass dazu.

Vermeintlich banale Sachen wie Einkaufen, Bargeld abheben oder Waschen waren hier stets Themen, die oftmals tage- wochenlang nicht gelöst werden können. Die vom Sturm verwüstete Infrastruktur trug natürlich ihren Teil dazu bei.

Der Sturm Irma liess am 14. September 2017 ganze Häuser verschwinden. Zuweilen sieht man verwilderte Grundstücke mit lediglich einem gefliesten Boden und einem WC drauf. Dann dämmert es einem, dass dies die Überbleibsel eines Wohnhauses sind, welches Stück um Stück zerlegt und weggefegt wurde.

An den Küsten liegen alle Arten von Schiffswracks, von Yachten bis zu schweren Arbeitsschiffen aus Stahl. Keine einzige Marina ist heil geblieben. Selbst betonierte Steganlagen wurden von der Wucht der Wellen und der festgemachten Schiffe zerbröselt.

Die Sturmspitze war lediglich vier Stunden an demselben Ort, mit konstant starken Winden von 295 km/h. In diesen vier Stunden sind dem Schweinzüchter auf Virgin Gorda alle seine 700 Schweine abhanden gekommen. Er weiss nicht, wo sie geblieben sind.

Die Leute haben die Nasen voll vom Aufräumen, und tiefste Angst, dass sich so ein Szenario wiederholen könnte. Taxifahrer Cyrill sagte mir: „Mann, du denkst vielleicht, dass das ein Abenteuer war. Nein, es war grauenvoll und tödlich. Wir haben uns versteckt und gebetet, und wollten nur, dass das endlich aufhört.“ Eine ganze Region wurde traumatisiert.

Cyrill ist sich absolut sicher, dass sich das Wetter verändert hat. Die früher wochenlang stabilen Wetterlagen gibt es nicht mehr. Viel zu häufig ändern sich Windrichtung, Windstärke und Niederschläge. Für uns Fahrtensegler sind das keine guten Nachrichten, bauen doch allen Segelrouten rund um den Globus auf Wetterkonstanten auf, welche sich während Jahrzehnten als ziemlich stabil erwiesen hatten.

Zumindest erholt sich die Natur. Die Wälder tragen langsam wieder grüne Blätter. Zuweilen sieht man Schmetterlinge zu Hunderten. An einigen Stränden wurden neue Palmen gepflanzt. Gestandene Revierkenner sind sich einig, dass die Jungferninseln fast wieder so schön sind wie vor 30 Jahren, als das Charterboot-Geschäft noch nicht etabliert war.

Trotz Sturmschäden genossen wir eine grandiose Zeit in den Britischen Jungferninseln. Zuweilen hatten wir ganze Buchten und Strände für uns alleine. Wir beobachteten die Pelikane, wie sie im Flug aus 5 Metern Höhe Fische im Wasser aussuchten, und diese nach kurzem Sturzflug und einem grossen ‚Platsch’ mit einer ungelenken Kopfbewegung ihren Hals hinunter beförderten. Das Wasser glitzerte selbst nachts im Mondeslicht türkis, die Strände in fahlem weiss.

Wir lagen vor Cooper Island und verbrachten die Nachmittage im Wasser und die Abende im Beach Club: Lounge Music, Happy Hour, Sun Downers,
nette Segler aus aller Welt, die Kiddies mit Dart beschäftigt, die ganze Speisekarte durchgemacht. Etwas weiter in The Bath liegen seit tausenden von Jahren riesige rundliche Steine vulkanischen Ursprungs am Strand, wie in den Seychellen. Diese aufgetürmten Brocken bilden Höhlen, in denen wir badeten.

Und was machen die Locals? Sie fahren gerne mit amerikanischen Pick-up Trucks, 10 Zylinder für kaum mehr als 10 Kilometer Insellänge. Ich will nicht verbergen, dass mir diese sonor brabbelnden Motoren schon immer imponiert haben. Völlig unerwartet erweckten diese grossen Schlitten in mir den längst begrabenen Ehrgeiz, in meinem (künftigen) Berufsleben für einige Zeit in den USA tätig zu sein. Die Tochter winkte sofort ab, Zitat: „Papa, das ist ein absolutes ‚No-Go‘: Zu grosse Städte, zu viele Waffen, zu viele Drogen, keine herzigen Dörfer!“. Woher sie das wohl hatte? So probierte ich es mit Canada. Prompt: „Papa, vergiss es: Zu viele wilde Wölfe und Bären, viel zu gefährlich!“. Diese Schlagfertigkeit habe ich mir schon immer gewünscht, haha!

Derweil erhielten wir aus der Schweiz Bilder von hübsch blühenden Blumen, Sträuchern und Bäumen. Es war für uns ist das ein untrügliches Zeichen, dass sich unser Aufenthalt in der Karibik nun dem Ende zuneigt.

Ganz unverhofft trafen wir am letzten Ankerplatz unsere Freunde von KISU, TRITON, und VELA DARE. Dieses Mal waren wir diejenigen, die abfahren. Obwohl noch Sint Maarten vor uns liegt waren wir ziemlich sicher, dass unser karibisches Abenteur hier zu seinem eigentlichen Abschluss gekommen ist. Tatsächlich steigt in uns ein Trennungsschmerz hoch. Die British Virgin Islands haben es uns wirklich angetan!

Für die US Virgin Islands hatten wir uns nicht früh genug um das erforderliche Visum bemüht. So konnten wir leider auch unsere Holland-Freunde Ron und Irene in ihrer Residenz in Puerto Rico nicht besuchen.

Mittlerweile sind wir in östlicher Richtung nach Sint Maarten gesegelt. Hier bereiten wir uns selbst und das Schiff auf die Rückfahrt nach Europa vor. Wir freuen uns auch schon auf Michael! Er wird unsere Crew auf der Rückfahrt verstärken.