Am Dienstag, dem 10. Oktober um 14 Uhr werfen wir in Funchal die Leinen. Unsere neuen Freunde aus Holland, England, Frankreich und Schweden winken am Steg. Einige klatschen und rufen “well done” herüber, denn der Mann am Steuer ist 10 Jahre alt und hat konzentriert ein perfektes Ablegemanöver rückwärts hingelegt. Alle freuen sich, dass der Junge selber Hand anlegen kann, und dabei gutes Können an den Tag legt. Selbstverständlich war das Manöver zuvor detailliert besprochen worden. Auch wenn Junior am Steuer steht, so bleibt das Kommando bei mir.
Nun sind wir also unterwegs von Madeira in die Kanarischen Inseln. Als erstes Ziel werden wir das kleine Inselchen Graciosa anlaufen, nördlich von Lanzarote. Jemand witzelte, dass dies die östlichste Insel der Karibik sei, weil es dort eine traumhafte Buchten zum Schnorcheln und Tauchen haben muss. Wir lassen uns gerne überraschen!
Die Reise dorthin wird zwei etwa 260 nautische Meilen oder zwei Tage und Nächte dauern. Nachmittags entdeckt Manuela den ersten fliegenden Fisch, und dann ein paar Wale. Zumindest die erste der beiden Nächte wird fabelhaft:
Eine dünne Dunst-Schicht schwebt über dem 24 Grad warmen Wasser. Nach Sonnenuntergang sitzen wir draussen beim Abendessen. Die nebelartigen Schlieren über dem Wasser färben sich gelblich und rot, und bald ist es dunkel. Die Tochter ist sehr müde und geht ins Bett. Der Sohn darf nochmals seine Rettungsweste anschnallen und ins Cockpit kommen, denn es gibt hier eine spät-abendliche Überraschung für ihn, das Meeresleuchten.
YUANA gleitet sanft über die See. Der Bug wirft kleine Wellen zurück. Das bewegte Wasser leuchtet nach, mal stärker, mal schwächer. Zuweilen gibt unnatürlich hellgrün fluoreszierende Schaumteppiche. Einige leuchten tatsächlich so hell, dass sie Licht an die Umgebung abgeben. Dazwischen funkeln immer wieder Duzende Partikel hell auf. Es ist ein wunderschönes Schauspiel von wechselnder Intensität.
Plötzlich bemerke ich ein etwa 2 Meter Tier direkt neben YUANA im Wasser. Es ist schwarz wie die Nacht und daher nicht wirklich sichtbar, ausser wenn die Rückenflosse aus dem Wasser kommt. Dann zieht diese Flosse einen ebenso grünen Strich durch das Wasser. Obwohl ich nur ein Tier erkennen kann, muss wohl ein Delfin sein (Delfine sind meist in Gruppen unterwegs). Selbst unter der Wasseroberfläche zieht der Delfin eine glitzernde Leuchtspur hinter sich her. So ähnlich sehen fliegende Feen in Kinderfilmen aus, im speziellen wenn diese über den neuesten Zauberglanz von Gary verfügen. Der Delfin überholt uns, kommt zurück, und wendet erneut, schnell, die Kurven mit einem Radius von weniger als einem Meter. Man kann das alles sehen, weil der Delfin diese Leuchtspur hinterlässt.
Gegen Mitternacht wird die Dunstdecke dünner, und man beginnt die Sterne zu sehen. Ich nehme das Fernglas und schaue die Unendlichkeit. Ein Stern funkelt in rot, grün und weiss. Es handelt such nicht um einen Flieger, denn dieser müsste doch langsam weiterziehen. Ganze Sternenhaufen werden in voller Klarheit sichtbar.
Ab und zu schaue ich auf, um den Horizont nach Lichtern oder dichten Wolkenformationen abzusuchen, und um das Radarbild zu prüfen. Einmal kriege ich dabei einen riesigen Schreck. Durch das Cockpitfenster sehe ich ein gelbes Licht, und es scheint direkt neben uns zu sein. Habe ich zuvor etwa einen Tanker übersehen? Der zweite Blick klärt die Sache schnell: Der Mond ist hinter den Wolken am Horizont aufgegangen, und scheint in voller Stärke durch ein kleines Wolkenloch hindurch. Haha, wer sonst hat sich jemals vom Mond erschrecken lassen? Auch das passiert einem wohl nur auf See.
Die zweite Hälfte der Nacht läuft ereignislos ab. Wir motoren mit 5.5 Knoten über die glatte See. Morgens um acht stehen die Kinder auf der Matte und prüfen, welchen Tribut an Keksen und Schokolade diese Nacht im Cockpit gekostet hat.